FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK
1724 - 1803
An den Markgrafen von Baden
Hamburg den 10. Nov. 1802
Durchlauchtiger Markgraf, gnädiger Fürst und Herr!
Ich bin, seit dem Anfang des Mays, bald krank, bald kränklich gewesen, kurz, ich
merke, daß ich das letzte Jahr vor dem achtzigsten erreicht habe. Dieß mein
Befinden hat dann leider gemacht, daß ich die vortreffliche Tochter von Ew.
Hochfürstlichen Durchlaucht nicht gesehen habe. Aber meine Frau hat Sie gesehen,
und gegen diese hat Sie sich so liebenswürdig betragen, daß ich mein Nichtsehen
beynah vergessen konte.
Ich bin so glücklich gewesen, veranlassen zu können, daß der Kaiser von Rußland,
den ich liebe, mir für die Ode (die ich beylege) kein Geschenk gemacht hat, wie
verschiedene Gelehrte und Künstler von ihm erhalten haben, Denn er hat gesehn,
daß jene Ode solche Absichten nicht hatte, sondern daß sie allein durch liebende
Verehrung entstanden war.
Vor einiger Zeit besuchte mich der russische Oberkammerherr, und es war mir kein
kleines Vergnügen, daß er die eben angekommenen, sehr getroffenen
Gipsabbildungen des Kaisers und seiner Gemahn bey mir fand, und ich nun so gute
Gelegenheit hatte, von ihm und von ihr, recht nach Herzenslust zu sprechen.
Mich verlangt sehr danach, von Ew. Durchlaucht zu hören, ob ich meinen Wunsch,
griechische M. S. aus der großsultanischen Folterkammer zu bekommen, nun völlig
aufgeben, und also geduldig zusehen soll, daß sie der englische Gesandte in
Konstantinopel, der auch sein Auge darauf geworfen hat, in Besitz nehme, oder ob
ich mir noch einige Hoffnung machen darf, sie durch den russischen Gesandten zu
erhalten.
Der Prinz von Wallis hat, wie Ew. hochfürstliche Durchlaucht wissen, einen
Gelehrten nach Neapoli geschickt, und der läßt die herkulanischen M. S.
aufrollen, oder vielmehr die beinahe verbrannten in kleinen Theilen abnehmen.
Vor ziemlich langer Zeit stand mir der Sinn auch nach diesen M. S. Die Königin
war mir auch gar nicht abgeneigt.
Aber da Sie zuletzt erfuhr, (ich hatte es in Wien so zu machen gewußt, daß auch
die Prinzessin Christine, Herzogin von S. T. die Sache befördern wollte), daß an
den M. S. gleichwol etwas gelegen seyn könte, geriethen meine Wünsche, die
freylich eines Ausländers, auf Einmal unter die zahllosen unerfüllten.
Ew. Durchlaucht vermuten gewiß von mir, ohne daß ich es Ihnen sage, daß mir Ihr
weises Betragen, bey Ihren Besitznehmungen, nicht wenig Freude mache; aber
erlauben Sie gleichwol, daß ich es Ihnen sage. Mein vortrefflicher Arzt, der
zugleich mein Freund ist, besucht mich seit dem Anfang des Mays beinah alle
Tage; allein wegen der hiesigen Theurung fast aller Sachen, die schon lange
gedauert hat und noch fortdauert, bin ich nicht im Stande, mich gegen ihn, der
es doch bedarf, erkenntlich zu bezeigen. Dieß drückt mich; aber nach meiner
Denkart drückt es mich auch, gegen Ew. Durchlaucht hiervon Erwähnung zu thun.
Ich überlasse mich indeß mit Ruhe Ihrer edlen Art zu verfahren.
Ew. Durchlaucht wissen, mit welcher Verehrung und Liebe ich immer war und seyn
werde
Der Ihrige Klopstock