BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 




KNEBEL LUDWIG KARL

1744 -1834

 


Im Jahre 1833 steigerten sich die Beschwerden des Alters in hohem Grade, starker Husten quälte ihn beständig und das Tagebuch spricht von " sorglichen Tagen". Die Füße, deren einer halb gelähmt war, versagten den Dienst immer mehr, und er that am 16. Dezember einen schweren Fall, der ihm beinahe das Leben gekostet hätte. Zwar erholte er sich, fiel aber am 12. Februar folgenden Jahres wieder so heftig zur Erde, daß er anscheinend eine Gehirnerschütterung davon trug und sich sehr matt fühlte. Sein baldiges Ende ahnend sprach er viel über die Unsterblichkeit der Seele, deren Fortdauer er jetzt im Gegensatze zu früheren Anschauungen hoffen zu dürfen glaubte. Auf die Frage, ob er Schmerzen habe, erwiderte er: " Lassen Sie es gut sein, die Natur hat Alles weise geordnet, auf einen starken Ambos ließ sie auch einen starken Keil fallen."

Vielfach phantasierend recitirte er häufig Stellen aus lateinischen Klassikern und entschlummerte sanft im neunzigsten Lebensjahre am 23. Februar 1834 Morgens 10 Uhr. Die goldene Leier, welche auf Goethes Sarg gelegen, Schwert und Lorbeerkranz schmückten seinen Sarg. Am 25 februar Abends 7 Uhr wurde die irdische Hülle unter großem Gefolge, in welchem sich Vertreter des Großherzogs, des Senats der Universität und der Stadtbehörden, sowie ein Fackelzug der Jenenser Studenten befanden, zum Friedhofe geleitet. Als der Zug hier angelangte, mischte sich das Licht des aufgehenden Vollmondes mit dem Scheine der Fackeln.

In der Grabrede sprach der Superintendent Schütz unter Anderem: " Wir würden schon aus der Verbindung mit den angesehensten Männern seiner Zeit schließen müssen, daß es kein kleiner Geist war. Aber selten ward auch eine so natürliche Herzensgüter gefunden. Die Biederkeit und Treue, die sich in seinem festen klaren Auge und in den kräftigen Zügen spiegelte, wohnte bei ihm in der Tiefe des Herzens und fesselte selbst solche an ihn, mit denen ihn übrigens nicht die gleiche Ansicht der Welt und des Lebens verband.

Wunderbar und in den späteren Jahren seines Lebens beinahe rührend war die Mischung der Kraft mit der Milde des Gemüths, des festen oft so unbeugsamen Willens mit dem hingebenden kindlichen Wesen, die in ihm lag, und die ihm so leicht aller Herzen gewann. mehr als das Stammbaum und das morsche Pergament adelte ihn das warme lebendige Gefühl für Wahrheit und Recht, welches sich immer offen und ohne Scheu offenbarte, der edle, vorurtheilslose Sinn, mit welchen er die menschliche Verhältnisse betrachtete, die Bereitwilligkeit, mit der er fremden Werth und fremdes Verdienst anerkannte, die anspruchslose Bescheidenheit, mit welcher er sich denen, die ihm geistig überlegen waren, unterordnete, ohne jedoch sein eigenes Urtheil aufzugeben und sich zum Sklaven fremder Ansicht und Meinung zu machen, die Freiheit von kleinlichen beschränkten Rücksichten, wenn es galt, den Menschen nach dem zu würdigen, was er leistet und ist.

Er war ein setener Mensch, eine reiche Natur, für das Höchste und Beste empfänglich, seiner Kraft seiner Kraft bewußt und doch mit ihr sich nie hervordrängen, großartig angelegt von dem Schöpfer, dessen bildende Hand ihm die Züge zu einer scharf ausgeprägten Eigenthümlichkeit aufdrückte. "

Der Kanzler von Müller widmete dem entschlafenden Freunde einen Lorbeerkranz nebst einem poetischen Nachruf, worin seine Verdienste freundliche Anerkennung fanden.

Kein Kranz oder Gedenkstein bezeichnet die Ruhestätte, welche die Gebeine Knebels birgt, an der Mauer des alten Jenaer Friedhofes. Nur einige Tannen spenden Schatten dem Schlafenden, annähernd des Verblichenen Wunsch erfüllend, welcher am liebsten im rauschenden Walde zu ruhen gewünscht hatte. Neben ihm ruht sein langjähriger Hausgenosse Legationsrath Weller 1.

Das Scheiden des Vielgeliebten riß eine weite, nicht ausgefüllte Lücke in den Kreis seiner Familie und seiner Freunde. Wie weit auch im Einzelnen ihre Lebensanschauung von den seinen abweichen, wie klar sie auch seine auffäligen Schwächen erkennen mochten, sie übersahen diese über den Lichtseiten seines Gemüthes und Charakters.

Sie betrauerten in ihm einen Mann von ernstem wissenschaftlichen Streben, unermüdlichem Forschungsdrange und vielseitigem Wissen, der sich mühte, seine wenig glückliche Naturanlage zu bekämpfen, der ein herz besaß voll reinster Menschenliebe, strengster Wahrhaftigkeit, Offenheit, einen Helfer der Bedrängten.

DER LETZTE TON AUS WEIMARS JUBELZEIT WAR LEISE VERKLUNGEN.

 

 



BRIEF

Jena den 22 März 1833 ( An Goethes Sterbetag)

An Kanzler Müller

Für die gütige Übersendung der letzten Theile der nachgelassenen Goethe' schen Werke danke ich Ihnen von Herzen. Ich werde sie mit Andacht lesen. Sie werden mir zuweilen durch Auflösung der pythischen Orakel helfen.

Goethe scheint mit dem heutigen Tage fast alle Wärme von unsrer armen Erde mit sich genommen zu haben. Wir haben hier vollkommenen Winter, und der Schnee blendet uns die Augen. Was kann es werden? Heiter konnte dieser Tag nicht sein. Wir müßten denn, wie die Wilden, um das Grab des Verstorbenen tanzen, und uns freuen, daß er unser gewesen, und nun der Erde entlediget sei.

Wie geht es in Weimar? ich höre nicht viel daher. Gestern war ein fremder Reisender, Herr Hoffrath Wagner, bei mir. Er erzählte mir Manches von Griechenland, und von dem jungen König, der als Genius daselbst erschien.
Ihr lieber Herr Bruder besucht uns fleißig und verkürzt uns die Abendstunden.

Leben Sie wohl, theurer Freund, und empfehlen uns allen unsern Geliebten!

Knebel




1) nach Döring, Blätter für Literarische Unterhaltung 1834, hatte er sich die im Nachlaß I, S. 76 abgedruckte Grabschrift als die eigene geschrieben: " Nicht zu der stygischen Fluth, und nicht zu dem finsteren Cocytus wallte mein Geist, auch nicht hin in' s elyseische Feld, Kein wie er war nahm ihn die Natur nun wieder zu sich auf und im unendlichen All lebet er ewig mit fort"

 


K. L. Knebel Literarische Nachlaß Briefwechsel K. A. Varnhagen von Ense und Th. Mund Leipzig Gebrüder Reichenbach 1836 Band III



 

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