BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 




 

Lenau Nikolaus ( eigent. Nikolaus Franz Niembsch )

1802 - 1850

 

verlor früh den Vater. Die Mutter ging eine zweite Ehe ein. Als Lenau die Schule verlassen hatte, begab er sich, um Philosophie zu studieren nach Wien, wo er mit der Schwester Resi im Hause der Großeltern lebte. Von hier schreibt er der Mutter den folgenden Brief. Welche feurige, schwärmerische Liebe, aber wie ist er auch schon damals weltschmerzlerisch dem Leben abgewandt!
Leidenschaft, Melancholie, Weichheit, Grübelei und Haltlosigkeit – diese Wesenszüge des Späteren finden sich schon in diesem Briefe.
 

ERSTER BRIEF

[ Wien 1821]

Liebe ewig teure Mutter!
Es hat mich Ihr an die Resi gerichteter Brief so angegriffen, daß ich auf die Feiertage schwerlich eine Empfänglichkeit für Freude nach Stockerau bringen werde. Sie sind noch das einzige teure Wesen, an dem sich mein ganzes Ich festhält im festen Vertrauen auf Ihre mir über alles der Erde teure Liebe, Sie sind es die ich mir das Ziel meines Strebens setze, um dereinst mit Ihren kleinen Töchterin glückliche Tage leben zu können.
Gott, meine Mutter! Es hat die kindliche Liebe in meinem ganzen Wesen mehr entscheidende Energie, als sie alle glauben, sollten Ihnen, meine teure Mutter, eine Krankheit beugen oder sollte Gott Ihren verfluchten Wunsch, sie von der Welt zu nehmen, erhören, so seien Sie überzeugt, daß eine durch meinen Schädel pfeifende Kugel mich mit Ihnen, Sie angebetene Mutter, alsbald vereint. –
Sie müssen auf Ihren physisches Wohl acht haben, denn ich sage, es ist wahrlich die Bedingung zur Erreichung des Zweckes, den Gott mit uns allen vorhatte.

Harren Sie noch einige Frist hin aus, und es wird gut werden. Ich werde mein ganzes brüderliches Vermögen gebrauchen, um die Resi zu expedieren.
Adieu.
Ich küsse Sie und die kleinen fortwährend.

Verzeihen Sie die Schrift, ich bin so bewegt, und die Buchstaben gerinnen durch Tränen
Ihr Sohn
ewig treu
Nickli.

 


LETZTER BRIEF

Die geheimnisvolle Beziehung Nikolaus Lenau zu Sophie Löwenthal waren infolge nur missverständlich darstellbar, als man bloß die schönen und oft schönschreiberischen Briefe des Dichters kannte, die jegliche Vertraulichkeit mieden und sichtlich für den Blick des befreundeten Gatten geschrieben waren. Erst die spät veröffentlichten Zettel – heimlich zugesteckt oder nach schlüsselhaften Vereinbarungen zugesandt – sprechen sein wirkliches Gefühl aus; und aus ihnen, den aufrichtigen, hat dieses Bändchen allein gewählt. Von den anderen sind ihnen nur die beiden letzten Briefe zugestellt, die er schon nahe der geistigen Umnachtung an Sophie schrieb, weil sie, obzwar reserviert in der Form, Persönliches ihres Schicksals verraten. Textlich folgt ( mit Kürzungen) die Auswahl der mustergültigen Gesamtausgabe Professor Eduard Castles im Insel –Verlag.

 

1844

 Stuttgart, 16. Oktober 1844.

Liebe Sophie!

Es ist ein Wunder geschehen heut früh um acht Uhr. Alle Mittel Schellings halfen nichts, da nahm ich nahm ich meinen Guanerius heraus, spielte einen steirischen Landler, tanzte dazu selbst und stampfte wütend in den boden, dass das Zimmer bebte. Sie werden das alles in Zeitungen lesen. Ich wurde heiß und beweglich, und, o Wunder! Ich war gesund. Als Schelling kam, tanzt ich ihm einen Walzer vor. Nicht einmal schwach war ich geblieben.

Adieu, Herzerl!
Ihr Niembsch
vertatur.


II


Leider aber bin ich dann ausgegangen und hab mich ein bisschen verdorben. Nun lieg ich im Bett und schwach, aber alle eigentlichen Nervenanfälle sind gehoben durch meinen göttlichen Guarnerius.
Nicht umsonst hab ich ihn immer so geliebt. Lebt wohl alle! Bald komme ich Ischl, aber diesmal ernstlich.
Niembsch.

III


Aus der Festigkeit meiner Hand ersehe Sie, wie gut mirs gut[!] Diese Geigengeschichte wird durch ganz Europa gehen.
Schelling war äußerst verblüfft, und er wird diese Tatsache in Journalen zur Sprache bringen.
das ist ein musikalisches Phantasiewunder, wie Sie aus der Allgemeinen zeitung sehen werden.
Auf Wiedersehen.

IV


Stuttgart, den 18 Oktober 1844.


Liebe Sophie!


Sie werden meiner Gesundheit wegen in großer Sorge sein. Vernehmen Sie zu Ihrer Beruhigung, daß ich mich heute so wohl fühle, daß ich meine reise nach Ischl unternehme nach Tische. Hohe Herrschaften waren so gnädig, meiner lage, die allerdings eine der traurigsten ist, ihre Teilnahme zuzuwenden. Ich führe das nicht aus eitler Eigenliebe, sondern zur Ehre der Prinzessin Marie und des Grafen von Neipperg an.
Ich beschwöre Sie, den gewissen Entschluß, falls ich sterben sollte, nicht auszuführen. Denken Sie an Ihre Kinder, an Ihren alten Vater, an mich und meine Ehre, meinen Namen, der bisher so rein gewesen. Leben Sie fort meinem Andenken, das, wenn Sie mich jemals geliebt haben, für Sie reizen genug sein wird, Sie im Leben zurückzuhalten. Endlich vergessen Sie nicht, daß Selbstmord das grausteste Verbrechen ist.
Sie würden, wenn Sie das entsetzliche Vorhaben ausführen, nichts erreichen, als da ß unsere Liebe nebst dem, daß sie eine unglückliche, vielleicht wie keine, war, auch eine beschmutzte und beschimpfte würde. Falls Sie sich in jenem nicht wahrscheinlichen Falle mit der Größe der Seele, die Sie in anderm erprobten.
Auf Wiedersehen hier und dort.

Ihr unwandelbar
Und tief geneigter
Nikolaus Lenau
Vergessen Sie meine Bitte nie!

 



Literatur,  Jugendbriefe  berühmter Männer / Ausgewählt und eingeleitet von Dr. Joh. Rohr / Verlag " Die Buchgemeinde" 1924

Nikolaus Lenau an Sophie Löwenthal Insel – Bücherei Nr. 101 Druck bei Roßberg’schen Buchdruckerei in Leipzig
 

 

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