verlor früh den Vater. Die
Mutter ging eine zweite Ehe ein. Als Lenau die Schule verlassen hatte,
begab er sich, um Philosophie zu studieren nach Wien, wo er mit der
Schwester Resi im Hause der Großeltern lebte. Von hier schreibt er der
Mutter den folgenden Brief. Welche feurige, schwärmerische Liebe, aber wie
ist er auch schon damals weltschmerzlerisch dem Leben abgewandt!
Leidenschaft, Melancholie, Weichheit, Grübelei und Haltlosigkeit – diese
Wesenszüge des Späteren finden sich schon in diesem Briefe.
ERSTER BRIEF
[ Wien 1821]
Liebe ewig teure Mutter!
Es hat mich Ihr an die Resi gerichteter Brief so angegriffen, daß ich auf
die Feiertage schwerlich eine Empfänglichkeit für Freude nach Stockerau
bringen werde. Sie sind noch das einzige teure Wesen, an dem sich mein
ganzes Ich festhält im festen Vertrauen auf Ihre mir über alles der Erde
teure Liebe, Sie sind es die ich mir das Ziel meines Strebens setze, um
dereinst mit Ihren kleinen Töchterin glückliche Tage leben zu können.
Gott, meine Mutter! Es hat die kindliche Liebe in meinem ganzen Wesen mehr
entscheidende Energie, als sie alle glauben, sollten Ihnen, meine teure
Mutter, eine Krankheit beugen oder sollte Gott Ihren verfluchten Wunsch,
sie von der Welt zu nehmen, erhören, so seien Sie überzeugt, daß eine
durch meinen Schädel pfeifende Kugel mich mit Ihnen, Sie angebetene
Mutter, alsbald vereint. –
Sie müssen auf Ihren physisches Wohl acht haben, denn ich sage, es ist
wahrlich die Bedingung zur Erreichung des Zweckes, den Gott mit uns allen
vorhatte.
Harren Sie noch einige Frist hin aus, und es wird gut werden. Ich werde
mein ganzes brüderliches Vermögen gebrauchen, um die Resi zu expedieren.
Adieu.
Ich küsse Sie und die kleinen fortwährend.
Verzeihen Sie die Schrift, ich bin so bewegt, und die Buchstaben gerinnen
durch Tränen
Ihr Sohn
ewig treu
Nickli.
LETZTER BRIEF
Die geheimnisvolle Beziehung Nikolaus
Lenau zu Sophie Löwenthal waren infolge nur missverständlich darstellbar,
als man bloß die schönen und oft schönschreiberischen Briefe des Dichters
kannte, die jegliche Vertraulichkeit mieden und sichtlich für den Blick
des befreundeten Gatten geschrieben waren. Erst die spät veröffentlichten
Zettel – heimlich zugesteckt oder nach schlüsselhaften Vereinbarungen
zugesandt – sprechen sein wirkliches Gefühl aus; und aus ihnen, den
aufrichtigen, hat dieses Bändchen allein gewählt. Von den anderen sind
ihnen nur die beiden letzten Briefe zugestellt, die er schon nahe der
geistigen Umnachtung an Sophie schrieb, weil sie, obzwar reserviert in der
Form, Persönliches ihres Schicksals verraten. Textlich folgt ( mit
Kürzungen) die Auswahl der mustergültigen Gesamtausgabe Professor Eduard
Castles im Insel –Verlag.
1844
Stuttgart, 16. Oktober 1844.
Liebe Sophie!
Es ist ein Wunder geschehen heut früh um acht Uhr. Alle Mittel Schellings
halfen nichts, da nahm ich nahm ich meinen Guanerius heraus, spielte einen
steirischen Landler, tanzte dazu selbst und stampfte wütend in den boden,
dass das Zimmer bebte. Sie werden das alles in Zeitungen lesen. Ich wurde
heiß und beweglich, und, o Wunder! Ich war gesund. Als Schelling kam,
tanzt ich ihm einen Walzer vor. Nicht einmal schwach war ich geblieben.
Adieu, Herzerl!
Ihr Niembsch
vertatur.
II
Leider aber bin ich dann ausgegangen und hab mich ein bisschen verdorben.
Nun lieg ich im Bett und schwach, aber alle eigentlichen Nervenanfälle
sind gehoben durch meinen göttlichen Guarnerius.
Nicht umsonst hab ich ihn immer so geliebt. Lebt wohl alle! Bald komme ich
Ischl, aber diesmal ernstlich.
Niembsch.
III
Aus der Festigkeit meiner Hand ersehe Sie, wie gut mirs gut[!] Diese
Geigengeschichte wird durch ganz Europa gehen.
Schelling war äußerst verblüfft, und er wird diese Tatsache in Journalen
zur Sprache bringen.
das ist ein musikalisches Phantasiewunder, wie Sie aus der Allgemeinen
zeitung sehen werden.
Auf Wiedersehen.
IV
Stuttgart, den 18 Oktober 1844.
Liebe Sophie!
Sie werden meiner Gesundheit wegen in großer Sorge sein. Vernehmen Sie zu
Ihrer Beruhigung, daß ich mich heute so wohl fühle, daß ich meine reise
nach Ischl unternehme nach Tische. Hohe Herrschaften waren so gnädig,
meiner lage, die allerdings eine der traurigsten ist, ihre Teilnahme
zuzuwenden. Ich führe das nicht aus eitler Eigenliebe, sondern zur Ehre
der Prinzessin Marie und des Grafen von Neipperg an.
Ich beschwöre Sie, den gewissen Entschluß, falls ich sterben sollte, nicht
auszuführen. Denken Sie an Ihre Kinder, an Ihren alten Vater, an mich und
meine Ehre, meinen Namen, der bisher so rein gewesen. Leben Sie fort
meinem Andenken, das, wenn Sie mich jemals geliebt haben, für Sie reizen
genug sein wird, Sie im Leben zurückzuhalten. Endlich vergessen Sie nicht,
daß Selbstmord das grausteste Verbrechen ist.
Sie würden, wenn Sie das entsetzliche Vorhaben ausführen, nichts
erreichen, als da ß unsere Liebe nebst dem, daß sie eine unglückliche,
vielleicht wie keine, war, auch eine beschmutzte und beschimpfte würde.
Falls Sie sich in jenem nicht wahrscheinlichen Falle mit der Größe der
Seele, die Sie in anderm erprobten.
Auf Wiedersehen hier und dort.
Ihr unwandelbar
Und tief geneigter
Nikolaus Lenau
Vergessen Sie meine Bitte nie!
Literatur, Jugendbriefe
berühmter Männer / Ausgewählt und eingeleitet von Dr. Joh. Rohr / Verlag "
Die Buchgemeinde" 1924
Nikolaus Lenau an Sophie Löwenthal Insel – Bücherei Nr. 101 Druck bei
Roßberg’schen Buchdruckerei in Leipzig