kam als Sproß einer
kinderreichen Pastorenfamilie in Kamenz zur Welt Mit zwölf Jahren wurde er
auf die Fürstenschule zu Meißen gebracht, wo er verblieb, bis er
siebzehnjährig die Universität in Leibzig bezog, um Theologie zu
studieren. Auf der Fürstenschule zeichnete er sich aus und versuchte sich
auch bereits in der Dichtkunst, wie unser zweiter Brief, den er als
Siebzehnjähriger an den Vater schrieb, ausweist.
Freilich gefällt es ihm auch bereits nicht mehr in Meißen wegen der
Zustände, die er näher beschreibt; es sind die Zustände kurz nach der
Beendigung des zweiten schlesischen Krieges.
Bereits unser erster Brief, ein Brief des Vierzehnjährigen an die ältere
Schwester, zeigt den ganzen späteren Dichter. So spaßig es uns vorkommt,
wie das sittenstrenge Männlein die Schwester abkanzelt und ihre
Schreibfaulheit (und nicht nur ihre Schreibfaulheit) brandmarkt: es liegt
doch der ganze Ernst des späteren darin, und gleich die ersten Sätze in
ihrer kristallenen Klarheit zeigen den großen Meister der Sprache.
ERSTER BRIEF
A Mademoiselle
Mademoisell’e lessing
ma tres cher Soeur a Camenz
M den 30. Dezember 1743.
Geliebte Schwester!
Ich habe zwar an Dich geschrieben, allein Du hast nicht geantwortet. Ich
muß also dencken, entweder Du kannst nicht schreiben, oder Du willst nicht
schreiben. Und fast wollte ich das erste behaupten. Jedoch ich will auch
das andere glauben; Du willst nicht schreiben. Beydes ist strafbahr. Ich
kann zwar nicht einsehn wie dieses beysamen stehn kann: ein vernünftiger
Mensch zu seyn vernünftig reden können; und gleichwohl nicht witzen, wie
man einen Brief aufsezen soll.
Schreibe wie Du redest, so schreibst Du schön.
Jedoch; hätte auch das Gegentheil statt, man könnte vernünftig reden,
dennoch aber nicht vernünftig schreiben, so wäre es für Dich eine noch
eine großere Schande, daß Du nicht einmahl so viel gelernet.
Du bist zwar Deinem lehr Meister sehr zeitig aus der Schule gelauffen, und
schon in Deinen 12 Jahren hiltest Du es vor eine Schande etwas mehres zu
lernen: allein wer weiß welches die große Schande ist? In seinen 12 Jahren
noch etwas zu lernen als in sein 18ten oder 19ten noch keinen Brief
schreiben können. Schreibe ja! Und benimm mir diese falsche meynung von
Dir.
Im vorbeygehen muß ich doch auch an das neue Jahr gedencken. Fast jeder
wünschet zu dieser Zeit gutes. Was werde ich Dir wünschen? Ich muß wohl
was besonderes haben. Ich wünsche Dir, daß Dir Dein ganzer mammon
gestohlen würde.
Vielleicht würde es Dir mehr nutzen, als wenn jemand zum neuen Jahre
Deinen Geld Beutel mit einigen 100 Stück Ducaten vermehrte.
Lebe wohl!
Ich bin Dein treue Bruder
G E. Lessing
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Jugendbriefe berühmter Männer / Ausgewählt und eingeleitet von Dr. Joh.
Rohr / Verlag " Die Buchgemeinde" 1924
LETZTEr BRIEF
Lessing an seine Stieftochter Amalia
Meine liebe Tochter,
den 1n Februar. 81
...[ der Brief ist offenbar aus Braunschweig und interessant um deswillen,
weil er, vierzehn Tage vor dem Tode geschrieben ( Lessing starb den 15.
Febr. 1781], dem datum nach überhaupt der letzte Brief ist, den wir von
Lessing besitzen ]
Ich habe Dir gestern nicht schreiben können, weil ich nicht gewiß wußte,
wann Herr T*.....) kommen könne. Nun will er auf den Sonnabend kommen, und
Du kannst sicher seyn, daß ich Dir des Tages vorher einen Braten schicke.
Wenn ich nur wüßte, welcher Dir am liebsten wäre.
Ich befinde mich leidlich. Und wenn Du mir morgen noch schreibst, was wir
alles zur Messe brauchen: so kann ich die Bestellung machen, daß wir mit
Commodität wieder herüber gehen können. Der Haufen ihre Mustercharten
liegen in meiner Stube auf dem Fenster, in drey einzeln Bogen. Sieh Dich
doch darinn um, und schicke mir die Probe, damit ich mich nach dem Preis
erkundige.
Dein tr. V.
L.
Briefwechsel Lessing und seine Frau Neu herausgegeben von Dr. Alfred
Schöne / Leipzig Verlag von S. Hirzel 1870
* Name, es es nicht gelang entziffern