BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



 

MÖRIKE EDUARD

 1804 - 1875

 

Eduard Mörike, der große Lyriker, wurde in Ludwigsburg als Sohn eines Arztes geboren. Bis zum Tode des Vaters war Eduard Kindheit glücklich; dann kam die Not, und der Knabe wurde bei Verwandten erzogen. Mit vierzehn Jahren wurde er auf das theologische Seminar in Urach geschickt. Doch erkrankte er hier an Scharlach, und seit dieser Zeit war seine Gesundheit nicht mehr fest.
Als Student in Tübingen begann er zu dichten. Traurige Erlebnisse gaben die seelische Grundlage für seine ersten Dichtungen; seine tiefe Jugendliebe verwandelte sich in Leid; seine von ihm innig geliebte Base verlobte sich plötzlich mit einem andern. Dazu kam der plötzliche Tod eines jüngeren Bruders. Auch noch eine andere Enttäuschung erschütterte ihn damals. Er fand einst ein schönes Mädchen ohnmächtig am Wege liegen. Eine heftige Liebe zu der geheimnisvollen Schönen erwachte sofort. Aber sie war seiner unwürdig, und so floh er von ihr.
Mit zweiundzwanzig Jahren bestand er die Prüfung und wurde Vikar und blieb es lange, ohne eine Pfarrstelle zu erlangen. Nach einigen Jahren macht er die Bekanntschaft der Pfarrerstochter Luise rau. Er liebt sie und verlobt sich mit ihr. Alle lähmenden Enttäuschungen sind vergessen; der Mensch wie der Dichter erwacht aufs neue unter dem Morgengruß dieser Liebe, deren Glück sich in seinen Briefen an Luise spiegelt. Wir bringen deren zwei, die er als fünfundzwanziger schrieb.
Vier Jahre dauerte die Verlobung; dann wurde sie gelöst, besonders weil sich für Mörike noch immer keine Aussicht bot, eine Familie ernähren zu können. Ein paar Monate später wurde er ganz unerwartet zum Pfarrer in Cleversulzbach ernannt. –Mörike hat sich als Siebenundvierziger mit einer anderen Frau verheiratet, jedoch ohne glücklich zu werden.
 

ERSTER BRIEF

Plattenhardt, 2. September 1829.

Mein Kind! Daß man die Reise von Bonlanden bis Plattenhardt ohne große Fährlichkeit zurücklegen kann, daß versteht sich eigentlich bei jedermann, ausgenommen bei Bauern und Schulmeistern, die von Markt heimkommen, und bei Vikaren, die warm von der liebsten Munde schieden. Indessen begegnete mir nichts. Und halb elf Uhr war ich an Ort und Stelle. Die 1. deinigen hatte mich bänglich erwartet; sie waren seit heute früh nicht vom Fenster weggekommen, und ein erwärmender Tee stand schon bereit….
Du erstaunst über das schlechte Papier, worauf ich unsere Korrespondenz mit Dir einleite, aber 1. hab ich bis jetzt kein anderes. 2. ist es der antike Sitte analog, daß einsam trauernde Liebhaber den Bart (und also auch das Papier) nicht beschneiden, 3. ist mein Brief nur das Makulatur – Kouvert zu einem äußerst feinen Gratulationsschreiben, das hier uneröffnet beiliegt.
Es ist ohne Zweifel ein carmen von F. Vilcher, das ich zu lesen recht begierig bin. Schicks uns doch zur gemeinschaftlichen Erbauung durch die Botin, etwa in einer Abschrift von Louis!

Wie kamst Du nach Hause? Trockenen Fußes gewiß und trockenen Auges noch gewisser. Fünf Tage weiß ich mich schon auch zu trösten, aber das ist immer noch eine gar zu leichte Vorschule für die Zukunft.

In der Scheue meiner Fenster gegenüber hör ich dreschen: ein traulicher, winterliche Klang, nach dessen Takte das Herz sich so recht genügsam einspinnen kann! Ich knüpfe immer einen ganzen Scharm von wehmütig süßen Erinnerungen an diesen Ton, die bis in meine tiefe Kindheit fortlaufen. Dieselbe einförmige Melodie, die mir alle Herbste meines Lebens wieder neu war, wie wunderbar überrascht sie mich in dieser entscheidenden Epoche!

Sie mahnt mich an alles, was in 20 Jahren an mir vorüber ging, was ich gefunden und verloren habe, was an mir verändert wurde, und was unveränderlich wie die Totalempfindung meines ursprünglichen Wesens, an mir geblieben ist.
Da fühl ich so deutlich, wie vieles bloß als zufälliges Mittel zur Entwicklung des inneren Menschen Wert hatte, das man lange Zeit als höchsten Glanzpunkt des Wesens selber wert und heilig gehalten; und doch musste er vergehen, und man hat noch von Glück zu sagen, wenn die alles enttäuschende Zeit nicht den ganzen Goldfirnis von den Gestalten abstreifte, wenn man immer noch den Mut haben darf, die alten Zaubergärten zu durchwandeln und an manches verwilderte Monument die nachträumende Stirne anzulehnen. Aber dabei kann einem nur dann wohl werden, wenn das neue Paradies schon angelegt und bereit ist, das uns für alle Vergangenheit entschädigen soll. So ist mir, so darf es auch Dir sein.
Mein Kind, wann werde ich denn aufhören können, mich immer aufs neue wieder über Dich und mich zu verwundern und zu fragen:Wie ist das alles geschehen?! Aber ich wollte, die Zeit käme nie, wo ich das immer frage! Ich meine, das wäre schon ein Vorbote des Todes unserer Liebe. Oder muß die Liebe nicht mit jedem neuen Morgen über sich selber, als über ein Wunder, erstaunen und freudig zusammenschrecken? Ist sie bei Dir anderer Art? Es mag sein, und ich glaube es fast, aber es macht mich nicht bange. „ Gerne denk ich mir Dich stets als ein eigenes Kind.“


Ich muß abbrechen, sonst mach ich Dir den Kopf toll mit Ergießungen, die Du nicht liebst. Morgen nachts neun Uhr wird mein Schatten im Widerschein Eures Lichts an der Kirchenwand neben dem Deinigen erscheinen, da sprich ein wenig mit ihm! Ich wills in der Ferne hören. Hab ich doch heut schon mit Deinem blaugestreiften Kleid leise Gespräche geführt, das vor dem mittleren Fenster in der Wohnstube an der Stange trocknet. Wär es phantastischen Hoffnung, da ß noch ein par geistige Atome Deines Wesens in den Fäden stecken. Nun adieu! Lebet alle wohl! Tausendmal geküsst von
Deinem treuen Eduard.
 

Plattenhardt, 9. November 1829.

Es ist nachts 11 Uhr; ich war schon zu Bette, konnte aber nicht in Schlaf kommen, zündete Licht an und rede nun noch ein wenig mit Dir; morgen früh hätt ich den Bauern ohnehin nicht fortgelassen, ohne Dir für Dein Gestriges gedankt zu haben. Ja, Dein gestriges Briefchen! Sieh, mein Kind ich sage Dir, und das musst Du buchstäblich für Wahrheit nehmen, ich habe nie in meinem Leben, daß ich wüsste, ein geschriebenes Wort gelesen, das mein ganzes Wesen so entzückt, so rein über sich selbst erhoben hätte wie dies. Was soll ich noch weiter sagen? Amen also, und glaube Du’s !
Höchst merkwürdig war mir das wunderbare Zusammentreffen unseres Nachblickens, wovon Du schreibst, um so mehr, als ich mich nur dies einzigemal umkehrte und demnach in eben dem Augenblick, da Du ans Fenster trafst. „ Wunder hat die Liebe viel“, sagt Herr Ludwig Uhland.
 

Kaum hatte ich Deinen Brief bis auf den letzten verborgensten Honigtropfen ausgesogen und jede Silbe, jeden leisen Gedankenübergang mikroskopisch durchdrungen, so hör ich auf dem Gang eine derbe Stimme, die nach mir fragt. Ein Abendbesuch von Benkiser. Ich gestehe, daß meine Stirn sich ein wenig verzog, bis die Stimme im Zimmer war und ich das angenehme Gesicht von der Welt machen musste. Sage nur der lieben Mama und Rike, ich sei hinlänglich gestraft für meine Unhöflichkeit an seinem frühern Abend denn die Visite blieb wieder bis¾ 11Uhr, und ich durfte diesmal die Figur am Ofen nicht wohl spielen. Ich schwätzte recht brav, entwickelte sogar die Lehre vom Somnabulismus, und mein Gast ließ sich auf seine Art hierüber vernehmen.

Eine seiner Perioden habe ich mir wörtlich gemerkt. „ Es ist bedenklich, ja, ja! Wenn man nämlich die Sach bedenken tut. Aber, Herr Vikar, gar nichts mehr, es glauben heutigestags viele Menschen, kein Gott nicht einmal, und nach’m Tod  sei’s  halt aus – und doch wenn man nur zum Beispiel d’G’stirn betrachtet – ‚s könnt’s jeder aus seim eigene Leib, seine Sinne, nämlich sein Verstand abnehmen!’s  ist drum bedenklich, wenn man das Ding so bedenkt.“

 Und als in der Weise nacheinander fort. Nach zehn Uhr stand ich einmal mit einem erzwungenen Gähnen rasch vom Stuhl auf.

Herr Benkiser blieb aber ruhig sitzen,  und als er sich zuletzt doch empfahl, gab er mir auf der Treppe nicht undeutlich zu verstehen, daß ich dasselbe Amusement künftig recht oft haben werde.

Nun nahm ich Deine Worte noch einmal vor und las dann noch eine Stunde in Eschenmeyer. Meinem 1. Schwager denk laß ich sagen, daß das Buch auf jeden Fall ungemein interessant und lesenswürdig sei,  daß es mich übrigens ebenso sehr abstoße als anziehe. So viel herrliche, weite Ansichten und doch wieder unerträglich Enges!

 Ich schrieb einige Proben für Denk ab, werde ihm aber, womöglich, das Buch selbst mitteilen. Grüß ihn, sein 1. Frau und alles aufs zärtlichste! Schreib mich auch von der Stimmung der besten Mutter!
Gut daß Du nach Nürtlingen gehst! ich mag’s  der meinigen so gönnen. Liebe sie nur recht von Herzen! Sie verdiet’s. An Onkel Georgii hab ich geschrieben. Tat ich recht, von Dir folgendes zu sagen? „ Luise, welche Sie durch mich so liebevoll auf die Gesinnung ihres  seligen Vaters hinweisen lassen( ein Auftrag, den ich gewiß mit Freuden vollziehe), sagt mir jedesmal mit großer Bedeutung von der Aehnlichkeit, welche sie zwischen Ihnen und dem Verewigten finden will, und ich fühle dies hier an, um die gedoppelte Achtung zu bezeichnen, womit sie Ihnen ergeben ist.

…Etwas später


Jetzt gute Nacht, Luise, meine Luise! Dieser Name läuft, wie ein sanftes Echo, den Tag über und die Nacht durch mein Innerstes. Es ist eine heilige Stille um mich. Draußen liegt alles klar, wie am Tag. Der Mond zeichnet die drei vordern Fenster hell auf den Boden der lieben Stube, worein diesen Augenblick vielleicht ein lebendiger Traum Dich mit mir einführt; vielleicht ist jetzt ein heller Sommermorgen unter Deinem geschlossenen Augenlide - ach, wie einst, wenn ich früh herüber kam und Dich allein bei der Arbeit schon unterm Fenster sitzend fand, selber blühend Du wie der Morgen. Wir sind einander noch fremde, höfliche Gestalten, Du grüßest mich halblaut von fern. - Erwach! Erwache, mein Kind, und gedenke, daß ich Dein geworden bin seit jener kurzen Zeit!

Welche eine unbeschreiblich schöne Nacht! Ich öffne ein Fenster, höre die Melodie des Brunnens, blicke aufs Gärtchen hinunter. Alles so leicht, so geistig in Schatten und Licht! Wie schön schwimmend sind alle Gegenstände.
Könnt ich Dich eine Minute lang haben! Nicht einen Kuß gäben wir uns, sondern Stille, staunend, andachtvoll säh ich Dich mir an die Seite gezaubert wie eine leichte Verkörperung meines heiligsten Gedankens, die ich nicht zu berühren wage, die leisen Trittes wieder entweicht, aber in mir eine unnennbare Seligkeit zurücklässt, die mich in den Schlaf hinüber begleitet. Ist mir aber nicht jetzt schon so zu Mute? Tritt, o Kind, diesen Augenblick herein! Und ich will nicht erschrecken, will nicht fragen: Bist Du Luftbild oder Leben? Ich wäre auf jedes Wunder gefasst! ---
Zwölf Uhr! Schlaf wohl.

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Literatur;  Jugenbriefe berühmter Männer Ausgewählt von Joh. Rohr Verlag Buchgemeinde Berlin 1924

 


Letzter Brief

An Hartlaub
Stuttgart, den 27:. Mai  1874

Es fehlte nicht viel, liebster Freund, so wäre der 29. Mai diesmal im Angesicht von Wimsheim, unter den unmittelbaren Eindruck des genius loci, von uns gefeiert worden. Allein es hing dies nicht von unserem Willen ab. Die Baronin 1( v. Phull, geb. Mörike)) hatte andere Gäste zu erwarten, und die Dauer unseres Aufenthalts war gleich von Anfang fest bestimmt. Doch durften wir noch einige sehr schöne Tage dort genießen. Auf den Gebrauch einer Arznei, vorzüglich aber infolge der besseren Witterung war ich am 18. insoweit wieder hergestellt, dass ich das Bett verlassen und zum erstenmal wieder am Tisch mit der Gesellschaft speisen konnte. Am Montag, den 18. fuhr man nach Wimsheim; der Pfarrer H. schien uns doch gar kein übler Mann… Es wurde mit Johannisbeerwein aus Euerm Garten aufs Wohl der familie Hartlaub angestoßen, wobei der Pfarrer viel zum Lob der ökonomischen Einsichten der lieben Konstanze- natürlich nach Tradition- zu sagen wusste. Auf mein Verlangen zeigte er mir sein Studienzimmer, das er zu meiner Verwunderung und Freude ohne weiteres als „ Awas – Stube“ bezeichnete. In einem geeigneten Augenblick stahl ich mich weg, die Stiege nach der oberen Kammer hinauf, sah an dem bekannten Türpfosten des Gaststübchens das rote Zwiebelbild nur zur Hälfte weggewaschen, das Innere unverändert, an einer Fensterscheibe, auf dem gang nach vorn, meinen Namen – die Anfangsbuchstaben – zweimal, vom Jahre 1857 und 1861, eingeschnitten… An“ Seiner Hochwürden“ Geburtstag werden wir ein Glas Allerabesten trinken, und der Bomberger, versprech ich Dir, soll nicht länger als 10 Minuten zu unserer vermehrten Erheiterung dabei anwesen sein.
„ Lebt wohl und liebet mich immer!“ schreibt Cuvier regelmäßig am Schluß seiner briefe an die alten Freunde von der Karls –Akademie.
Euer getreuer Eduard.


 


 

 

Literatur; Ed uard Mörike  Briefe Berlin 1904 Druck und Verlag von Otto Elsner Band II ( 1841 -1874) Ausgewählt von Karl Fischer und Rudolf Krauss


 

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