Schumann Robert
1810 - 1856
Meine liebe und verehrte Clara!
Es gibt Schönheitshasser, welche behaupten, Schwäne wären eigentlich
größere Gänse – mit ebendemselben Recht könnte man sagen, die Ferne wäre
nur eine auseinandergerückte Nähe. Und sie ists auch, denn ich spreche
täglich mit Ihnen ( ja noch leise, als ich gewöhnlich pflege) und weiß
doch , daß Sie mich verstehen. Im Anfang hatte ich verschiedene Pläne über
unsere Korrespondenz. Ich wollte z. B. eine öffentliche in der
musikalischen Zeitung mit Ihnen kontrahieren – sodann wollte ich meinen
Luftballon ( Sie wissen, daß ich einen besitze) mit Briefgedanken anfüllen
und bei günstigem Winde unter passender Adresse aufsteigen lassen. –
Ich wollte mir Schmetterlinge einfangen als Briefträger an Sie – ich
wollte meine Briefe erst nach Paris schicken, damit Sie sie recht
neugierig aufmachen und dann, mehr als überrascht, mich in Paris glaubten.
Kurz, ich hatte viele witzige Träume im Kopf, aus denen mich erst heute
ein blasender Postillon weckte. Postillone, liebe Clara, wirken überhaupt
auf mich so magisch, wie etwa der vortrefflichste Champagner. Man glaubt
keinen Kopf zu besitzen, so wonnig leicht ist es einem im Herzen, wenn man
sie so luftig in die Welt hineinschmettern hört. Ordentliche
Sehnsuchtwalze sind diese Trompeterstückchen für mich, die uns an etwas
erinnern, was wir nicht besitzen. Wie gesagt, der Postillon blies mich aus
meinen Träumen in neue hinein.
DER LETZTE BRIEF
Vierzehn Tage nach seinem unendlich ergreifenden letzten Brief flüchtet
der für einen Augenblick Unbewachte auf die Straße. Eilt mit fliegendem
Haar an den Rhein, stürzt sich hinab, wird gerettet und zurückgebracht. -
Tage folgen, aus denen wie dunkle Akkorde noch einige Kompositionen
blühen!
Am 4. März 1854 kommt der Unheilbare nach Endenich bei Bonn.
Zwei Jahre später - am 29. Juli, nachmittags 4Uhr - bringt ihm der Tod
Erlösung. Seine Frau Klara ist an seinem Sterbebette. Ihr gilt sein
letzter erkennender Blick.
Dienstag, den 29.7.1856, sollte er befreit werden von seinem Leiden -
nachmittag 4 entschlief er sanft. Seine letzten Stunden waren ruhig, und
so schlief er auch ganz unbemerkt ein, niemand war in dem Augenblick bei
ihm. Ich sah ihn erst eine halbe Stunde später, Joachim war auf eine
Depesche von uns aus Heidelberg gekommen; dies hatte mich länger in der
Stadt zurückgehalten als gewöhnlich nach Tisch. (...) Ich hatte es nicht
bekannt gemacht, weil ich nicht wünschte, daß viele Freunde kämen. Seine
liebsten Freunde gingen ja voran, ich hinterher (unbemerkt), und so war es
am besten, gewiß in seinem Sinne!" (Litzmann, Bd. 2, S. 415f)
* Brief, Endenich, 5. Mai 1855,
Robert Schumann an Clara Schumann:
Die Paralyse bereitete ihm ein verhältnismäßig gnädiges Ende. In die
Heilanstalt Endenich bei Bonn hatte er sich aus eigenem Entschluss
begeben: Nach einer Krise im Februar 1854 fürchtete er, nicht mehr Herr
seiner Sinne zu sein; er wählte Kleider, Uhr, Notenpapier, Schreibzeug und
Zigarren aus und wollte sich noch spätabends ins Krankenhaus begeben.
Seine Frau hielt ihn davon ab; am Morgen des 27. Februar stürzte er sich
in den Rhein, wurde aber von Fischern gerettet - sein demonstrativer Akt
gab den Anlass zur Übersiedlung in das Sanatorium. Dort war er nicht
interniert; er durfte sich frei bewegen, hatte ein Klavier und durfte
Besucher empfangen. Sein Geist war klar; er wusste stets, wer und wo er
war; er war nur unendlich müde. Ein halbes Jahr lang wollte er nichts von
seiner Frau hören, dann sprach er zu ihr in seinen Briefen wie zu einer
fernen Gestalt aus einer Vergangenheit, die ihn zwar noch rührte, aber
nichts mehr anging. Zwar freute er sich noch über die Nachricht, »dass der
Himmel Dir einen prächtigen Knaben« geschenkt habe, aber die Formulierung
verrät, dass er damit nichts mehr zu tun haben wollte. Den jungen Brahms
betrachtete er als seinen Nachfolger; bei ihm wusste er nicht nur Klara,
sondern auch sein künstlerisches Vermächtnis in guten Händen. Er schrieb
nicht mehr, zog sich in sich selbst zurück und starb.
Lieb Clara,
Am 1sten Mai sandte ich Dir einen Frühlingsboten;
die folgenden Tage waren aber sehr unruhige; Du erfährst aus meinem Brief,
den Du bis übermorgen erhälst, mehr.
Es wehet ein Schatten darin; aber, was er sonst enthält, das wird Dich,
meine Holde, erfreuen.
Den Geburtstag unsres Geliebten wußt' ich nicht; darum muß ich Flügel
anlegen, daß die Sendung noch morgen mit der Partitur ankömmt.
Die Zeichnung von Felix Mendelssohn hab' ich beigelegt, daß Du [sie] doch
in's Album legtest. Ein unschätzbares Andenken!
Leb wohl, Du Liebe!
Dein
Robert.
5. Mai. 1855
[Vermerk von Clara Schumann: Letzter Brief]
II
An Johannes Brahms
Endenich, 27. November 1854.
Lieber!
Könnt' ich selbst zu Ihnen, Sie wieder zu sehen und zu hören und Ihre
herrlichen Variationen, oder von meiner Klara, von deren wundervollem
Vortrage mir Joachim geschrieben. Wie das Ganze so einzig abrundet, wie
man Sie kennt in dem reichsten phantastischen Glanz und wieder in tiefer
Kunst, wie ich Sie noch nicht kannte, verbunden, die Thema hie und da
auftauchend und sehr geheim, dann so leidenschaftlich und innig. Das Thema
dann wieder ganz verschwindend, und wie so herrlich der Schluß nach der
vierzehnten, so kunstreichen, in der Sekunde kanonisch geführten, die
fünfzehnte in Ges - dur mit dem genialen zweiten Teile und die letzte. Und
dann hab' ich Ihnen, teurer Johannes, zu danken für alles Freundliche und
Gütige, was Sie meiner Klara getan; sie schreibt mir immer davon. Gestern
hat sie wie Sie vielleicht wissen, zwei Bände meiner Kompositionen und die
Flegeljahre von Jean Paul zu meiner Freude geschickt. Nun hoffe ich doch
auch von Ihnen, wie mir Ihre Handschrift ein Schatz ist, sie bald in
anderer Weise zu sehen. Der Winter ist ziemlich lind. Sie kennen die
Bonner Gegend, ich erfreue mich immer an Beethovens Statue und der
reizenden Aussicht nach dem Siebengebirge. In Hannover sahen wir uns zum
letzten Male. Schreiben Sie nur bald Ihrem verehrenden und libenden
R. Schumann