BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 


 

Theodor Storm
1817 - 1888



 


„Wie schön müsste es doch sein, so zu sterben, wenn ich nur nicht so viel zu arbeiten hätte, wollte ich gern sterben –„ sagt der von Schmerzen Müde drei Tage vor dem Tode. – Zwischen Schlaf und Schmerzen schwinden ihm die Stunden hin. Seine wachen Gedanken gehören seinen Kindern. – Es ist seine Lieblingstochter Gertrud, die von den letzten Augenblicken erzählt: „ Unser lieber Vater sah uns Alle noch einmal an, legte sanft seinen Kopf auf die rechte Seite – er seufzte leise – und dann war er von uns gegangen. Ein sanfter Friede lag auf seinem Antlitz.


Hademarschen, 2/II. 87.


Mein geliebtes Kind!

Nur noch einen Gruß zu Deinem Geburtstag, dann will ich Schicht mit Schreiben machen, denn es ist 6 Uhr abends, und die rebellischen Nervengeister beginnen sich zu regen. Es ist ein eigen Ding mit einem Geburtstag, meine geliebte Tochter. Zu seinem Kinde möchte man etwas sagen, was sie nicht vergäße. Was ist wert für’ s ganze Leben, weit über unsers hinaus bliebe. Da aber das nicht jede Stunde gibt, da, was ich Dir wünschen möchte, nur wie die Liebe zu meinem Kinde ungeformt in meinem Herzen liegt, so will ich Dir nur etwas davon sagen, was mir klar ist: ich möchte Dich immer bei mir haben, mein Kind, denn Du bist gut und hast ein fröhliches Herz.

Aber das ist nur ein Wunsch für mich, den Alten. So will ich Dich im Geist nur in meine Arme nehmen; ich hoffe, die Sitte und die Liebe Deines Vaterhauses wird Dich unter Freunden das Rechte tun lassen. Vielleicht kommt unvermutet eines Tages das Glück und sucht Dich auf; doch warten wollen wir nicht darauf.
Nun will ich dir noch eines sagen, was Du gerne hören wirst.

Da ich seit einigen Tagen wieder etwas lästigen Druck auf meine Geschwulst ( Aneurisma) fühle, so ging ich gestern abend zu Brinken; er untersuchte mich genau und sagte, mit der Geschwulst sei es absolut dasselbe( sie bleibe also wie sie ist). Nur der Magen sei sehr voll von Gasen, die drauf drücken, die die lästige Spannung verursachten. Dagegen gab er mit etwas.
So darf ich nun wohl ganz gewiß sein, daß von dort aus meinem Leben keine Verkürzung droht. Und so bin ich denn ungeachtet der gegenwärtigen Magenquälerei durchaus lebensfroh und schreb’ getrost an meinem „ Schimmelreiter“ , dem hoffentlich noch etwas folgen wird.

Und nun sei froh an Deinem 19. Geburtstag, mein Liebes Kind, und grüße unsern Freund.
Dein Vater
Theodor Storm.


 



Literatur; Ilse Linden/ Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag Berlin 1919

 

 

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