Theodor Storm
1817 - 1888
„Wie schön müsste es doch sein, so zu sterben, wenn ich nur nicht so viel zu
arbeiten hätte, wollte ich gern sterben –„ sagt der von Schmerzen Müde drei Tage
vor dem Tode. – Zwischen Schlaf und Schmerzen schwinden ihm die Stunden hin.
Seine wachen Gedanken gehören seinen Kindern. – Es ist seine Lieblingstochter
Gertrud, die von den letzten Augenblicken erzählt: „ Unser lieber Vater sah uns
Alle noch einmal an, legte sanft seinen Kopf auf die rechte Seite – er seufzte
leise – und dann war er von uns gegangen. Ein sanfter Friede lag auf seinem
Antlitz.
Hademarschen, 2/II. 87.
Mein geliebtes Kind!
Nur noch einen Gruß zu Deinem Geburtstag, dann will ich Schicht mit Schreiben
machen, denn es ist 6 Uhr abends, und die rebellischen Nervengeister beginnen
sich zu regen. Es ist ein eigen Ding mit einem Geburtstag, meine geliebte
Tochter. Zu seinem Kinde möchte man etwas sagen, was sie nicht vergäße. Was ist
wert für’ s ganze Leben, weit über unsers hinaus bliebe. Da aber das nicht jede
Stunde gibt, da, was ich Dir wünschen möchte, nur wie die Liebe zu meinem Kinde
ungeformt in meinem Herzen liegt, so will ich Dir nur etwas davon sagen, was mir
klar ist: ich möchte Dich immer bei mir haben, mein Kind, denn Du bist gut und
hast ein fröhliches Herz.
Aber das ist nur ein Wunsch für mich, den Alten. So will ich Dich im Geist nur
in meine Arme nehmen; ich hoffe, die Sitte und die Liebe Deines Vaterhauses wird
Dich unter Freunden das Rechte tun lassen. Vielleicht kommt unvermutet eines
Tages das Glück und sucht Dich auf; doch warten wollen wir nicht darauf.
Nun will ich dir noch eines sagen, was Du gerne hören wirst.
Da ich seit einigen Tagen wieder etwas lästigen Druck auf meine Geschwulst (
Aneurisma) fühle, so ging ich gestern abend zu Brinken; er untersuchte mich
genau und sagte, mit der Geschwulst sei es absolut dasselbe( sie bleibe also wie
sie ist). Nur der Magen sei sehr voll von Gasen, die drauf drücken, die die
lästige Spannung verursachten. Dagegen gab er mit etwas.
So darf ich nun wohl ganz gewiß sein, daß von dort aus meinem Leben keine
Verkürzung droht. Und so bin ich denn ungeachtet der gegenwärtigen Magenquälerei
durchaus lebensfroh und schreb’ getrost an meinem „ Schimmelreiter“ , dem
hoffentlich noch etwas folgen wird.
Und nun sei froh an Deinem 19. Geburtstag, mein Liebes Kind, und grüße unsern
Freund.
Dein Vater
Theodor Storm.