TRAKL GEORG
1887 - 1914
AN LUDWIG VON FICKER IN INNSBRUCK
Krakau, am 27. Oktober 1914.
Lieber, verehrter Freund!
Anbei übersende ich Ihnen die Abschriften der beiden Gedichte, die ich
Ihnen versprochen. Seit Ihrem Besuch im Spital ist mir doppelt traurig
zu Mute. Ich fühle mich fast schon jenseits der Welt.
Zum Schlüsse will ich noch beifügen, daß im Fall meines Ablebens, es
mein Wunsch und Wille ist, daß meine liebe Schwester Grete, alles was
ich an Geld und sonstigen Gegenständen besitze, zu eigen haben soll. Es
umarmt Sie, lieber Freund innigst
Ihr Georg Trakl
Klage.
Schlaf und Tod, die düstern Adler
Umrauschen nachtlang dieses Haupt:
Des Menschen goldnes Bildnis
Verschlänge die eisige Woge
Der Ewigkeit. An schaurigen Riffen
Zerschellt der purpurne Leib
Und es klagt die dunkle Stimme
Über dem Meer.
Schwester stürmischer Schwermut
Sieh ein ängstlicher Kahn versinkt
Unter Sternen,
Dem schweigenden Antlitz der Nacht.
Grodek.
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tötlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger-, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden
Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
0 stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger
Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
[ 11.09. Einweisung in das Garnisonspital in Krakau zur Beobachtung
seines Geisteszustandes / Tod durch Kokainvergiftung ] 3.11. 1914
Literatur, Der Wahrheit nachsinnen Viel
Schmerz Verlag Philip Reclam 1981 leipzig
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