BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



 

Villers Alexander von
1812 - 1880

 


Wie alle großen Briefkünstler schreibt Willers bis zum letzten Atemzug. Sein letzter Brief strahlt von derselben Anmut wie der erste. Ein Plauderbrief aus tiefer Einsamkeit an eine Freundin aus der großen Welt. Österreichisch in der Färbung. Dem Tode gegenüber scheinbar spielerisch - in Wahrheit voller Ahnung, die von Ironie betäubt wird.
Er spöttelt über seinen Nachruhm - ahnt nicht, daß 30 Jahre später eine Gemeinde ihm erwachsen wird, der seine Eigenart ein Unersetzliches bedeutet. Ein Herzschlag riß ihn weg: am 16. Februar 1880.

Wiesenhaus 12. Februar 1880

Danke sehr, liebe Gräfin, für Ihre guten Wünsche und Einladung. Möchte selbst sehr gerne und bald und für lange kommen. Jetzt gehts mir besser und will nur noch ein wenig abwarten. Es ist weiter nichts als unbequem. Vor fünfzig Jahren war ich noch ganz frisch und jung, und jetzt auf einmal - es ist sehr merkwürdig! Wenn ich wieder auf die Welt kommen sollte, habe ich mir vorgenommen, als Jahrhundert zu kommen. Erstens wird man dann berühmt, kommt in die Geschichte, man erlebt eine Menge silberne und goldene Hochzeiten, Schlachten, Mitcontracte, Schauspielerjubiläums, Wohttätigkeitsbazars, Überschwemmungskotillons und andere Unglücksvergnügungen und schließlich wird man wenigstens neunundneunzig Jahre alt.

Als Jahrhundert kann man auch anstellen, was man will, es geschieht einem nichts; nie ist ein Jahrhundert eingesperrt worden, und noch nie ist eins gehängt worden. Nun, sehen Sie z. B. unser Jahrhundert an, es hat gekracht, daß alles krachte, hat eine Menge gute Freunde schändlich ums Leben gebracht, versteht gar nichts vom Landbau und kann nicht einmal den Weizen in St. Miklosz ordentlich ausreifen lassen; aber jedesmal an seinem Geburtstag, wenn die Leute einen Strauchen haben, daß man nicht begreift, warum der Mensch aus etwas anderem besteht als aus einer Nase und einem Sacktuch, freuen Sie sich, gratulieren einander und geben dem Hausmeister ein Trinkgeld.

Und ist das schändliche Jahrhundert erst tot, dann heißts gar die gute alte Zeit. Niemand wird sagen: Ja, der gute alte Wille, das war ein Kerl! Konnt er schön tanzen, und was er für gute Zigarren geraucht hat; er ritt nicht im Prater, ging in kein Theater, war unverheiratet und hatte nicht einmal Kinder, kurz gar kein Laster.

Wo kriegen wir wieder einen Wille her, ich will einen Wille haben, und sollt er mich tausend Gulden kosten!
Niemand wird das sagen nur die Teine, denn die verstehts.
Aber vom neunzehnten Jahrhundert werden sie reden und ein Aufhebens machen noch in tausend Jahren. Wenns auch nicht wahr wär, man wird doch immer sagen; die gute alte Zeit.


Sagen Sie auch: der gute Alte

Wille



Literatur;  Ilse Linden/ Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag Berlin 1919
 


 

 

 




 

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