Stefan Zweig
1881 - 1942
In der Nacht von 22. zum 23
Februar nahm sich Stefan Zweig das Leben.
In seinem Abschiedsbrief hat Zweig notiert " aus freien Willen und klaren Sinnen
aus dem Leben scheiden.
Die Zerstörung seiner geistigen Europa hatte ihn entwurzelt und seine geistigen
Kräfte erschöpft.
Liebe Friederike, wenn dich diese Zeilen erreichen, wird es mir bedeutend besser
gehen als bisher.
Du hast mich ja in Ossining gesehen und nach einer erfreulichen und
unbeschwerten Phase wurde meine Depression merklich akuter - ich war so
deprimiert, daß ich mich einfach nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren
konnte. Zudem die Gewißheit - die einzige, die wir je hatten -, daß der Krieg
noch Jahre dauern wird, daß schier endlose Zeit vergehen wird, bevor wir - in
unserer besonderen Lage - in unser Haus zurückkehren können, war einfach zu
bedrückend.
Ich habe mich in Petropolis durchaus wohlgefühlt, aber mir fehlten hier die
Bücher, die ich brauche, und die Einsamkeit, die zunächst ja eine deutliche
Linderung bewirkte, schlug in Bedrückung um - die Vorstellung, daß mein
Hauptwerk, der Balzac nicht fertig werden könnte, wenn ich nicht noch zwei
ungestörte Jahre darauf verwendete, und dann waren alle Bücher so ungemein
schwer zu beschaffen, und dann dieser Krieg, dieser nicht enden wollende Krieg,
der seinen Höhepunkt noch längst nicht erreicht hat.
Ich war all dessen so leid und müde (und die arme Lotte hatte es sicher nicht
leicht mit mir, vor allem weil es mit ihrer Gesundheit nicht zum besten stand).
Du hast Deine Kinder und damit eine Aufgabe, Deine Interessen sind vielseitig
und Deine Tatkraft ist ungebrochen.
Ich bin der festen Überzeugung, daß Du einst bessere Zeiten erleben wirst und
daß Du verstehen wirst, daß ich mit meiner »schwarzen Leber« nicht länger
gewartet habe.
Ich schreibe Dir diese Zeilen in meinen letzten Stunden, und Du kannst Dir nicht
vorstellen, wie leicht mir ums Herz ist, seit ich diese Entscheidung getroffen
habe. Grüße Deine Kinder recht lieb von mir und hadere nicht - denke immer an
den guten Joseph Roth und an Rieger, wie ich sie beneidet habe, daß sie all
diese Qualen nicht haben erleiden müssen.
In Liebe und Freundschaft, und bleib guten Mutes, weißt Du mich doch jetzt ruhig
und glücklich.
Stefan
Erklärung
Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es
mich eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Lande Brasilien innig
zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gewährt. Mit
jedem Tage habe ich dieses Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir
lieber mein Leben vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen
Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selbst
vernichtet.
Aber nach dem sechzigsten Jahr bedurfte es besonderer Kräfte, um noch einmal
völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen
Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter
Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit die lauterste Freude und
persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen.
Ich grüße alle meine Freunde!
Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht. Ich, allzu
Ungeduldiger, gehe ihnen voraus!
Stefan Zweig
Petropolis 22. II. 1942
Literatur; Dies sind nun also die
letzten Zeilen/ Die letzten Briefe großer Persönlichkeiten/Kröger Verlag
2007