BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 



Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 

 

HANS CHRISTIAN ANDERSEN 

 

1805 - 1875  

 

 

 






H. CH. ANDERSEN
 

1805 - 1875

DER SCHMETTERLING


Der Schmetterling wollte sich eine Braut suchen, natürlich wollte er eine hübsche, kleine unter den Blumen haben. Er sah sich sie an; sie saßen alle so still und besinnlich auf ihrem Stengel, wie eine Jungfrau es tun muß, wenn sie nicht verlobt ist; aber hier war eine so reiche Auswahl, das würde große Mühe machen, dazu hatte der Schmetterling keine Lust, und so flog er zur Gänseblume. Die nennen die Franzosen Margrethe, sie wissen, sie kann weissagen, und das tut sie, wenn Verliebte ihr Blatt für Blatt auszupfen und bei jedem eine


Frage nach dem Liebsten stellen: " Vom Herzen? - Mit Schmerzen? - Über alle Maßen? Klein wenig?
- Fast gar nicht " oder so ähnlich. Jeder fragt in seiner Sprache. Der Schmetterling kam auch, um zu fragen; er zupfte die Blättchen nicht ab, sondern küßte jedes einzelne, da er der Ansicht war, daß man im Guten am weitesten komme.
" Liebste Margrethe Gänseblume, sagte er; " Sie sind die klügste Frau unter allen Blumen!
Sie verstehen es weissagen.

 


Sagen sie mir, kriege ich die oder die? Und wen kriege ich? Und wenn ich es weiß, kann ich einfach hinfliegen und um ihre Hand anhalten! ". Aber Margrethe antwortete gar nicht. Sie mochte es nicht, daß man sie " Frau " nannte, denn sie war eine Jungfrau, und dann ist man keine Frau.
Er fragte ein zweites Mal, und er fragte ein drittes Mal, und da er kein Wort aus ihr herausbekam, hatte er keine Lust mehr noch weiterzufragen, sondern flog mir nichts dir nichts zum Freien.
 


Es war im Vorfrühling;  es gab Schneeglöckchen und Krokus in Mengen. " Die sind sehr hübsch" sagte der Schmetterling, " niedliche kleine  Konfrmanden" aber ein wenig zu grün".
Er schaute wie alle jungen Männer nach älteren Mädchen  aus.  Nun flog er zu den Anemonen , die waren ihm etwas zu herbe: die Veilchen  etwas zu verschwärmt, die Tulpen zu  bürgerlich ; die Lindenblühten zu klein, und sie hatten so viele Verwandte; die Alpenblüten sahen ja allerdings aus wie Rosen aber sie

 


blühen  heute und fielen morgen ab, je nachdem wie windig es war, die Ehe würde zu kurz sein, fand er.  Die Erbsenblüte gefiel ihm noch am ehesten, sie war  rein  und fein, gehörte zu den häuslichen Mägdelein, die gut aussehen und doch und doch in der Küche bewandert sind; er wollte gerade um ihre Hand anhalten, da sah er im selben Augenblick dicht daneben eine Schote mit einer welken Blüte  an der Spitze hängen. „ Wer ist das?“ fragte er. „ Das ist meine Schwester, sagte die Erbsenblüte!“
 


" Aha,  so werden sie später aussehen!"  Das erschreckte den Schmetterling und so flog er davon.
Die Kaprifolien  hingen über den Zaun; da gab es eine Menge von diesen Fräulein mit langen Gesichtern und gelber haut; dergleichen liebte er nicht.  Ja,  was liebte er denn? Fragt ihn. Der Frühling verging, der Sommer verging, und nun war es Herbst; er  war noch nicht  weitergekommen.


Und die Blumen erschienen in den schönsten Kleidern, aber was nützte das schon, der frische , duftende Jugendsinn war nicht mehr. Und Duft  braucht das Herz  gerade mit zunehmendem Alter, und Duft gibt es nicht allzu viel  bei Georginien     und Malven.  Da wandte sich der Schmetterling  der Krauseminze.
„ Die hat  zwar gar keine Blüte, sondern ist ganz und gar Blüte, duftet von der Wurzel bis zur Spitze, hat Blütenduft  in jedem Blatt.

 


„ Die nehme ich!“
Und nun machte  er endlich einen Eintrag. Aber die Krauseminze stand starr und still, und zuletzt sagte sie: „ Freundschaft, aber mehr auch nicht!  Ich bin alt, und sie sind alt! Wir können sehr gut  füreinander leben, aber heiraten – nein! Wir wollen uns  in unseren hohen Alter doch nicht lächerlich machen!“
Und so bekam der Schmetterling gar keine.  Er hatte zu lange gesucht und das darf man nicht tun.

Der Schmetterling  wurde ein Hagestolz, wie man es nennt.

 


Spätherbst war es, mit Regen und Wind, der fuhr den alten Weiden  kalt am Rücken hinunter, so dass  es in ihnen ächzte. Es war nicht gesund in Sommerkleidern  umherzufliegen, da würde man  die Liebe zu spüren bekommen, wie es heißt, aber der Schmetterling flog nun auch nicht draußen umher; er war zufällig unter  Dach gekommen, wo der Ofen geheizt war, ja hier war es ganz sommerlich warm;  er konnte leben.  „ Aber leben allein genügt nicht!“  sagte er  „ Sonnenschein, Freiheit, und eine kleine Blume muß man haben.

 


Und er flog gegen die Fensterscheibe , wurde gesehen, bewundert und auf eine Nadel gespießt  in den Raritätenkasten gelegt, mehr konnte man für ihn nicht tun. „Nun sitze ich auch auf dem Stengel, genau wie die Blumen!“  sagte der Schmetterling „ sehr angenehm ist es  jedoch nicht !„ Es ist sicher so, wie wenn man verheiratet ist, man sitzt fest!“  und damit tröstete er sich dann. „ Es ist ein schlechter Trost!“  sagten die Topfblumen in der Stube.
„ Aber den Topfblumen kann man nicht so recht glauben“ , meinte der Schmetterling, sie kommen zu viel mit Menschen zusammen.

 

 

 

   

      

                                                     

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