Andersen Christian Hans
1805 -
1875
DAS MÄRCHEN MEINES LEBENS
(AUTOBIOGRAPHIE)
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BUCHUMSCHLAG
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CH.
H. ANDERSEN
AUTOR |
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DAS
MÄRCHEN MEINES LEBENS
TITEL |
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Der letzte Brief galt
dem Freund
J. Collins
An Jonas Collin
Rolighed, den 25. Juli 1875
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Lieber Freund!
Hab Dank für Deinen Brief, den ich in diesem Augenblick bekommen
habe.
Noch nie ist mir die Zeit so kurz geworden wie jetzt, und doch
quält mich das Unausdenkbare: daß ich vielleicht nicht reisen
kann, aber ich will nicht an irgendwelche Hindernisse denken.
Ich bitte Dich, zu kommen; ich melde Dir die Minute. Wir sehen
uns! Gottes Wille geschehe!
Dein treuer, dankbarer Freund
H. C. Andersen
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DER
LETZTE BRIEF |
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.. hier im elterlichen Bett lag ich in
wachen Träumen, als ob die wirkliche Welt mich nichts anginge.
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Es gibt keinen
anderen Teufel, als den wir in unserm eigenen Herzen haben.
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Meine ganze nächste
Umgebung diente nur dazu, meine Phantasie zu erfüllen;
Ihr Lächeln
würde mich tief berührt haben.
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Die innigste Dankbarkeit gegen Gott erfüllte mich, denn ich
fühlte, wie ich alles nur durch seine Gnade hatte, doch empfing
ich auch einen lebendigen Eindruck von dem, was sich um mich
bewegte.
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Man
hat erst gewaltig viel Widerwärtiges durchzumachen, und dann wird
man berühmt.
Wenn alles recht
unglücklich geht, dann sendet er Hilfe, das habe ich gelesen; man
muß erst viel leiden, ehe man es zu etwas bringen kann.
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Im Grunde war ich ganz verlassen, fühlte aber nicht das ganze
gewicht meiner Lage; jeden Menschen der mich freundlich anredete,
hielt ich für einen ehrlichen Freund; Gott war bei mir in meiner
kleinen Stube, und manchen Abend, wenn ich mein Abendgebet gehalten
hatte, konnte ich ihn kindlich fragen: wird es wohl bald besser
werden? Ich hatte den Glauben, dass man so, wie es einem am
Neujahrstage ergehe, auch das ganze Jahr hindurch leben würde;
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Mein Lebensfrühling
fing an; aber der Frühling hat auch seine trüben Tage, seine
Stürme, bevor es klarer Sommer wird, sie sind da, um zu
entwickeln, was da reifen soll.
Die
Natur um mich und in mir predigte mir meinen Beruf….
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Fast niemals kam ich
mit andern Knaben zusammen; selbst in der Schule nahm ich an ihren
Spielen keinen Teil, sondern blieb ich drinnen sitzen.
Ich besaß ein
eigenes Talent, bei den Schattenseiten des Lebens zu verweilen,
das bittere aufzusuchen und gerade davon zu kosten, und verstand
es ganz ausgesucht, mich selbst zu plagen.
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Ein
Dichter ist wie ein Vogel, er gibt was er hat, er gibt einen
Gesang, ich wollte gerne jedem dieser Lieben einen solchen geben;
es war eine flüchtige Idee, geboren, darf ich sagen, in einem
dankbaren Gemüt.
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Die Politik ist
nicht meine Sache, Gott hat mir eine andere Aufgabe zugeteilt, das
fühlte ich und fühle noch.
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Dieses Leben in den
verschiedenen Kreisen ist von großer Wirkung auf mich gewesen; bei
den Fürsten, unter dem Adel und bei den Ärmsten im Volke habe ich
das edle Menschliche gefunden; im guten, im besten gleichen wir
einander alle!
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Die Wirklichkeit übertrifft häufig die schönsten Träume.
Es gibt Augenblicke der Dankbarkeit, in welchen wir gleichsam einen Drang
fühlen, Gott an unser Herz zu drücken; wie tief fühlte ich mein
Nichts, und das alles, alles von ihm komme.
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Den Gedanken, dass
das Göttliche hier auf Erden seinen Kampf zu bestehen hat, dass es
hier verstoßen wird, aber doch wieder siegreich durch alle
Jahrhunderte geht, hatte ich Lust, auszusprechen, und fand in der
Sage vom ewigen Juden ein Motiv dafür.
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Die
Märchen wurden eine Lektüre für Kinder und Erwachsene, und das ist
sicher eine schwierige Aufgabe für den, der Märchen schreiben
will; sie fanden in Dänemark offene Türen und offene Herzen, ein
jeder las sie. …
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... man
lacht, man weint, es tut einem wohl wie ein Kirchgang, man wird
ein besserer Mensch; man fühlt Gott in der Kunst ist, und wo Gott
Angesicht gegen Angesicht vor uns steht, da ist eine heilige
Kirche.
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…. mein eigenes
Ich vergessen, das heilige in der Kunst fühlen und den Beruf, den
Gott dem Genie gegeben, erkennen lernte.
Ich habe die glückliche Erfahrung gemacht, dass sowie die Kunst
und das Leben mir klarer geworden sind, um so mehr Sonnenschein
von außen in meine Seele eingeströmt ist.
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Ruhe und Überzeugung sind in mein Herz
gedrungen. Eine solche Ruhe lässt sich übrigens mit dem
wechselnden Reiseleben gut vereinigen; ich fühle mich überall
gleich zu Hause, schließe mich den Menschen leicht an, und sie
schenken mir wieder Zutrauen und Herzlichkeit.
„ hier ist gut zu sein“ Es gibt Menschen, bei denen man nur Tage
braucht, um sie zu kennen und zu lieben;…
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Ich fühlte einen Augenblick, wie
die Jahre dahinrollen, wie alles sich verändert und wie man so
manches verliert -
„ Doch es ist nicht so schwer,
als man glaubt,
Zu missen, was man liebt, hier im Getümmel;
Bei Gott sind unsre Lieben, die gebaut
Uns eine Brücke bis hinauf zum Himmel!
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Ich fühle, dass ich ein Glückskind bin; fast alle kommen mir offen
und liebreich entgegen, nur selten ist mein Zutrauen zu den Menschen
getäuscht worden. Vom Fürsten bis zum ärmsten Bauer herab habe ich
das edle Menschenherz schlagen gefühlt. Es ist eine Luft zu leben,
an Gott und Menschen zu glauben.
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Es tut so wohl in der Fremde, wenn man ein Haus findet, wo die
Augen gleich Festlampen leuchten, sobald man eintritt, ein Haus,
wo man in ein stilles häuslich glückliches Leben hineinblicken
kann – ein solches Haus fand ich beim Professor Weiß.
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Doch wie viele neue Bekanntschaften, welche angeknüpft, und
ältere, die erneuert wurden müsste ich nicht namhaft machen! … Er
war sehr verändert, doch die klugen sanften Augen waren dieselben,
der Händedruck war derselbe, ich fühlte, dass er mich lieb hatte
und mir wohl wollte.
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Mein Name ist über das ganze Land geflogen! Ich fühlte mich ganz
klein dabei, aber froh und glücklich
Im Leben ging der Fürst und der Dichter miteinander, im Tode
schlummern sie unter demselben Gewölbe. Ein solcher Ort wird nicht
aus dem Gedanken verlöscht, an solchen Stellen hält man sein
stilles Gebet, welches nur Gott allein vernimmt. –
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…
ich habe mein reiches Teil empfangen,
er gehe unter!
Auch hieraus entspricht das Beste.
Gott und Menschen
meinen Dank, meine Liebe!
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Des Dichters letztes Lied.
Du starker Tod, führ' mich hinan
Zum Geisterlande droben!
Die mir von Gott gewies'ne Bahn
Zog ich, die Stirn erhoben;
Was ich gegeben, Gott, war Dein,
Mein Reichthum war mein Träumen;
Nur wenig that ich, – sang darein,
Wie Vöglein auf den Bäumen.
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Leb'
wohl, Du Rose, frisch und roth,
Lebt wohl, Ihr meine Lieben!
Führ' mich hinan, Du starker Tod,
Obgleich ich gern geblieben.
Hab' Dank, o Gott! für all dein Gut,
Für alle künft'gen Zeiten; –
Nun stürme, Tod, durch Zeitenfluth
Zu ew'gen Sommerfreuden!
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.
. denn es geht
mit den Kindern des Geistes, wie mit den irdischen: sie wachsen,
während sie schlafen. –
Ein
eigenes Gefühl, gemischt aus Freude und Angst,
erfüllt mich jedes Mal, wenn mein Glücksgenius meine Dichtung zu
einem fremden Volke trägt.
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...daß es nicht der
unsterbliche Name des Künstlers, nicht der Glanz der Krone ist,
welche den Menschen glücklich machen, sondern dass das Glück sich da
findet, wo man mit wenigem zufrieden lebt und wieder geliebt wird.
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Das Herz und die Naturwahrheiten in meinen Schriften waren es, die
man schätzte; und wie vortrefflich und lobenswert die
Formschönheit auch ist, wie imponierend die Reflexionsweisheit in
dieser Welt auch sein mag – Herz und Natur sind doch das, was
sich durch alle Zeiten am wenigsten verändert und von allen am
besten verstanden wird.
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Wenn man älter wird, so wird doch, so viel man auch in der Welt
herumtummeln mag, ein Ort die wahre Heimat; selbst die Zugvogel hat
seinen bestimmten Ort, nach dem er zieht; der meine war und ist das
Collinische Haus.
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Das Auge schlossest du, um leicht zu sammeln
Die ganze Summe deines Glücks im Geiste;
Wir sah’n den Schlummer, dem des Kindes gleich,
O Tod, du bist ja Glanz, nicht Schattenseite
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Nie hatte ich mir gedacht, dass der Weggang aus dieser Welt so
schmerzlos, so glücklich sein konnte. Es kam eine Andacht in meine
Seele, eine Überzeugung von Gott und der Ewigkeit, welchen diesen
Augenblick zu einem bedeutenden Moment in meinem Leben erhob; es war
das erste Sterbebett, an dem ich seit meiner Kindheit gestanden
hatte.
..
in solchem Augenblicke ist es rings um uns heilig. Ihre Seele war
Liebe, sie ging zur Liebe und zu Gott!
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Eines Morgens, als ich
aus meinem Fenster unter den Linden sehe, entdecke ich unter einem
der Bäume einen Mann, halb versteckt und ziemlich ärmlich gekleidet,
der einen Kamm aus der Tasche holt, sein Haar zurecht macht, sein
Halstuch glättet und den Rock mit der Hand abbürstet; ich kenne die
verschämte Armut, die sich von ihren ärmlichen Kleidern gedrückt
fühlt.
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Bild Ch. H. Andersen |
Scherenschnitt Ch. H.
Andersen
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Bild Ch. H. Andersen
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