BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

 

Der letzte Brief

BRIEFE BERÜHMTER MENSCHEN

 

Der letzte Brief: der königliche aller Briefe.
 Sein Aroma ist köstlich. Was sonst in armseliger
 Verteilung aus Briefen blüht:
Genialität des  Denkens,
Glaubens Liebens
– im letzten Brief
wird er zu einer  Synthese.
Sein  Pathos ist unerhört  - aber sein Ethos
wächst darüber hinaus. Beide – Pathos und Ethos –
werden aufgenommen in die hohe Stimme
einer nie zu  entwirrenden Mystik.  Es ist das Schicksal
der letzten Takte der neunten Symphonie,
die eingehen in die Seligkeit eines metaphysischen Soprans. ....

 
Ilse  Linden
  Der letzte Brief Eine Sammlung letzter Briefe
Herausgegeben von Ilse Linden /Erschienen bei Oesterheld & Co Verlag
Berlin 1919
 
 

 



 

Andersen Christian Hans

1805 - 1875


DAS MÄRCHEN MEINES LEBENS 

(AUTOBIOGRAPHIE)
 

 


 

BUCHUMSCHLAG

 

 

   

CH. H. ANDERSEN
AUTOR

 


DAS MÄRCHEN MEINES LEBENS

TITEL




Der letzte Brief galt dem Freund
 J. Collins


An Jonas Collin

Rolighed, den 25. Juli 1875
 

 

Lieber Freund!

Hab Dank für Deinen Brief, den ich in diesem Augenblick bekommen habe.

Noch nie ist mir die Zeit so kurz geworden wie jetzt, und doch quält mich das Unausdenkbare: daß ich vielleicht nicht reisen kann, aber ich will nicht an irgendwelche Hindernisse denken.

Ich bitte Dich, zu kommen; ich melde Dir die Minute. Wir sehen uns! Gottes Wille geschehe!

Dein treuer, dankbarer Freund

H. C. Andersen

 

 


 

DER LETZTE BRIEF


 

.. hier im elterlichen Bett lag ich in wachen Träumen, als ob die wirkliche Welt mich nichts anginge.

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Es gibt keinen anderen Teufel, als den wir in unserm eigenen Herzen haben.

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Meine ganze nächste Umgebung diente nur dazu, meine Phantasie zu erfüllen;

 Ihr Lächeln würde mich tief berührt haben.

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Die innigste Dankbarkeit gegen Gott erfüllte mich, denn ich fühlte, wie ich alles nur durch seine Gnade hatte, doch empfing ich auch einen lebendigen Eindruck von dem, was sich um mich bewegte.

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 Man hat erst gewaltig viel Widerwärtiges durchzumachen, und dann wird man berühmt.

 Wenn alles recht unglücklich geht, dann sendet er Hilfe, das habe ich gelesen; man muß erst viel leiden, ehe man es zu etwas bringen kann.

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Im Grunde war ich ganz verlassen, fühlte aber nicht das ganze gewicht meiner Lage; jeden Menschen der mich freundlich anredete, hielt ich für einen ehrlichen Freund; Gott war bei mir in meiner kleinen Stube, und manchen Abend, wenn ich mein Abendgebet gehalten hatte, konnte ich ihn kindlich fragen: wird es wohl bald besser werden? Ich hatte den Glauben, dass man so, wie es einem am Neujahrstage ergehe, auch das ganze Jahr hindurch leben würde;
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Mein Lebensfrühling fing an; aber der Frühling hat auch seine trüben Tage, seine Stürme, bevor es klarer Sommer wird, sie sind da, um zu entwickeln, was da reifen soll.

 Die Natur um mich und in mir predigte mir meinen Beruf….

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Fast niemals kam ich mit andern Knaben zusammen; selbst in der Schule nahm ich an ihren Spielen keinen Teil, sondern blieb ich drinnen sitzen.

Ich besaß ein eigenes Talent, bei den Schattenseiten des Lebens zu verweilen, das bittere aufzusuchen und gerade davon zu kosten, und verstand es ganz ausgesucht, mich selbst zu plagen.

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 Ein Dichter ist wie ein Vogel, er gibt was er hat, er gibt einen Gesang, ich wollte gerne jedem dieser Lieben einen solchen geben; es war eine flüchtige Idee, geboren, darf ich sagen, in einem dankbaren Gemüt.

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Die Politik ist nicht meine Sache, Gott hat mir eine andere Aufgabe zugeteilt, das fühlte ich und fühle noch.

 

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Dieses Leben in den verschiedenen Kreisen ist von großer Wirkung auf mich gewesen; bei den Fürsten, unter dem Adel und bei den Ärmsten im Volke habe ich das edle Menschliche gefunden; im guten, im besten gleichen wir einander alle!

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Die Wirklichkeit übertrifft häufig die schönsten Träume.

 Es gibt Augenblicke der Dankbarkeit, in welchen wir gleichsam einen Drang fühlen, Gott an unser Herz zu drücken; wie tief fühlte ich mein Nichts, und das alles, alles von ihm komme.

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Den Gedanken, dass das Göttliche hier auf Erden seinen Kampf zu bestehen hat, dass es hier verstoßen wird, aber doch wieder siegreich durch alle Jahrhunderte geht, hatte ich Lust, auszusprechen, und fand in der Sage vom ewigen Juden ein Motiv dafür.

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 Die Märchen wurden eine Lektüre für Kinder und Erwachsene, und das ist sicher eine schwierige Aufgabe für den, der Märchen schreiben will; sie fanden in Dänemark offene Türen und offene Herzen, ein jeder las sie. …

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... man lacht, man weint, es tut einem wohl wie ein Kirchgang, man wird ein besserer Mensch; man fühlt Gott in der Kunst ist, und wo Gott Angesicht gegen Angesicht vor uns steht, da ist eine heilige Kirche.

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…. mein eigenes Ich vergessen, das heilige in der Kunst fühlen und den Beruf, den Gott dem Genie gegeben, erkennen lernte.

  Ich habe die glückliche Erfahrung gemacht, dass sowie die Kunst und das Leben mir klarer geworden sind, um so mehr Sonnenschein von außen in meine Seele eingeströmt ist.

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 Ruhe und Überzeugung sind in mein Herz gedrungen. Eine solche Ruhe lässt sich übrigens mit dem wechselnden Reiseleben gut vereinigen; ich fühle mich überall gleich zu Hause, schließe mich den Menschen leicht an, und sie schenken mir wieder Zutrauen und Herzlichkeit.

  „ hier ist gut zu sein“ Es gibt Menschen, bei denen man nur Tage braucht, um sie zu kennen und zu lieben;…

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Ich fühlte einen Augenblick, wie die Jahre dahinrollen, wie alles sich verändert und wie man so manches verliert  -

 

„ Doch es ist nicht so schwer, als man glaubt,
Zu missen, was man liebt, hier im Getümmel;
Bei Gott sind unsre Lieben, die gebaut
Uns eine Brücke bis hinauf zum Himmel!

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Ich fühle, dass ich ein Glückskind bin; fast alle kommen mir offen  und liebreich entgegen, nur selten ist mein Zutrauen zu den Menschen getäuscht worden. Vom Fürsten bis zum ärmsten Bauer herab habe ich das edle Menschenherz schlagen gefühlt.  Es ist eine Luft zu leben, an Gott und Menschen zu glauben.

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Es tut so wohl in der Fremde, wenn man ein Haus findet, wo die Augen gleich Festlampen leuchten, sobald man eintritt, ein Haus, wo man in ein stilles häuslich glückliches Leben hineinblicken kann – ein solches Haus fand ich beim Professor Weiß.

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 Doch wie viele neue Bekanntschaften, welche angeknüpft, und ältere, die erneuert wurden müsste ich nicht namhaft machen! … Er war sehr verändert, doch die klugen sanften Augen waren dieselben, der Händedruck war derselbe, ich fühlte, dass er mich lieb hatte und mir wohl wollte.

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Mein Name ist über das ganze Land geflogen! Ich fühlte mich ganz  klein dabei, aber froh und glücklich

Im Leben ging der Fürst und der Dichter miteinander, im Tode schlummern sie unter demselben Gewölbe. Ein solcher Ort wird nicht aus dem Gedanken verlöscht, an solchen Stellen hält man sein stilles Gebet, welches nur Gott allein vernimmt. –
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… ich habe mein reiches Teil empfangen,
er gehe unter!
Auch hieraus entspricht das Beste.
Gott und Menschen
meinen Dank, meine Liebe!

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Des Dichters letztes Lied.

Du starker Tod, führ' mich hinan
Zum Geisterlande droben!
Die mir von Gott gewies'ne Bahn
Zog ich, die Stirn erhoben;
Was ich gegeben, Gott, war Dein,
Mein Reichthum war mein Träumen;
Nur wenig that ich, – sang darein,
Wie Vöglein auf den Bäumen.
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 Leb' wohl, Du Rose, frisch und roth,
Lebt wohl, Ihr meine Lieben!
Führ' mich hinan, Du starker Tod,
Obgleich ich gern geblieben.
Hab' Dank, o Gott! für all dein Gut,
Für alle künft'gen Zeiten; –
Nun stürme, Tod, durch Zeitenfluth
Zu ew'gen Sommerfreuden!

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 .

. denn es geht mit den Kindern des Geistes, wie mit den irdischen: sie wachsen, während sie schlafen. –

 

 Ein eigenes Gefühl, gemischt aus Freude und Angst,
erfüllt mich jedes Mal, wenn mein Glücksgenius meine Dichtung zu einem fremden Volke trägt.

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...daß es nicht der unsterbliche Name des Künstlers, nicht der Glanz der Krone ist, welche den Menschen glücklich machen, sondern dass das Glück sich da findet, wo man mit wenigem zufrieden lebt und wieder geliebt wird.

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Das Herz und die Naturwahrheiten in meinen Schriften waren es, die man schätzte; und wie vortrefflich und lobenswert die Formschönheit auch ist, wie imponierend die Reflexionsweisheit in dieser Welt auch sein  mag – Herz und Natur sind doch das, was sich durch alle Zeiten am wenigsten verändert und von allen am besten verstanden wird.

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Wenn man älter wird, so wird doch, so viel man  auch in der Welt herumtummeln mag, ein Ort die wahre Heimat; selbst die Zugvogel hat seinen bestimmten Ort, nach dem er zieht; der meine war und ist das Collinische Haus.

 

 SEITE 29

 

 

 

 

Das Auge schlossest du, um leicht zu sammeln
Die ganze Summe deines Glücks im Geiste;
Wir sah’n den Schlummer, dem des Kindes gleich,
O Tod, du bist ja Glanz, nicht Schattenseite

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Nie hatte ich mir gedacht, dass der Weggang aus dieser Welt so schmerzlos, so glücklich sein konnte. Es kam eine Andacht in meine Seele, eine Überzeugung von Gott und der Ewigkeit, welchen diesen Augenblick zu einem bedeutenden Moment in meinem Leben erhob; es war das erste Sterbebett, an dem ich seit meiner Kindheit gestanden hatte.

.. in solchem Augenblicke ist es rings um uns heilig. Ihre Seele war Liebe,  sie ging zur Liebe und zu Gott!

SEITE 31

 

 

 

 

 

Eines Morgens, als ich aus meinem Fenster unter den Linden sehe, entdecke ich unter einem der Bäume einen Mann, halb versteckt und ziemlich ärmlich gekleidet, der einen Kamm aus der Tasche holt, sein Haar zurecht macht, sein Halstuch glättet und den Rock mit der Hand abbürstet; ich kenne die verschämte Armut, die sich von ihren ärmlichen Kleidern gedrückt fühlt.

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Bild Ch. H. Andersen


Scherenschnitt Ch. H. Andersen

 


Bild Ch. H. Andersen

 

 




 

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